3. Juli 2025

Recherchieren und Runterbrechen

Reportagenreihe «zTal und zBerg: Schanfigger Momentaufnahmen». Heute im Porträt: Silvia Conzett vom Viadukt Museum Langwies.

In einem Museum wird meist viel Wissen vermittelt. Damit man das als Gast auch nutzen kann, ist es wichtig, dass die passenden Inhalte ausgestellt werden. Nicht zu viel. Nicht zu wenig. Nicht zu simpel. Aber auch nicht zu kompliziert. Es braucht Ausstellungstexte, die verständlich sind. Schwerpunkte, die interessieren. Kurz, es braucht eine gelungene Kuration.

Wie ein zweites Wohnzimmer

Bücherregale. Computer. Schreibtische. Im Hintergrund hört man einen Drucker. Und das schnelle Schreiben mit Kugelschreiber auf einer harten Unterlage. Die Bibliothek ist ein interessanter Ort. Lernphasen-Schreck für die einen. Kindheitserinnerung für die anderen. Und sowas wie ein zweites Wohnzimmer für Silvia Conzett. Als Kuratorin befindet sie sich nämlich oft an den Orten, an denen Wissen zugänglich ist. Und so auch heute. Aber nicht zum Recherchieren, sondern zum Erzählen – und zwar von ihren Aufgaben als Kuratorin fürs im Juli eröffnende Viadukt Museum Langwies.

Recherche

«Als Kuratorin widme ich mich dem Inhalt der Ausstellung», beginnt sie, «also ich lese mich in das Thema ein, recherchiere in Bibliotheken oder Archiven darüber und entscheide dann, was sinnvoll oder wichtig wäre, um in der Ausstellung zu zeigen und zu vermitteln.» Für das im Juli eröffnende Viadukt Museum Langwies habe sie unter anderem oft in der Kantonsbibliothek Graubünden, dem Staatsarchiv oder dem RhB Archiv über die Hintergründe des Langwieser Viadukts und der Chur-Arosa-Linie recherchiert. Dabei gab es viel Literatur zu lesen, aber auch Fotografien und originale Filmaufnahmen zu sehen.

Stationen-Konzept

Danach habe sie für das Museum ein Konzept dazu erstellt, was in welchem Raum inhaltlich thematisiert wird – beim Viadukt Museum Langwies handelt es sich nämlich um ein modulares Museum, das sich in verschiedene Stationen einteilt und in dem sich die Besuchenden entlang unterschiedlicher Flächen und Räume des Bahnhofs Langwies bewegen werden. Dabei habe sie darauf geachtet, dass das, was in einem Raum vermittelt wird, auch dem Charakter oder der Geschichte des Raums entspricht. So gehe es im Warteraum – passend zum Warten auf den Zug – ums Reisen und den Tourismuswandel. Der Raum gebe einen Überblick über die Thematik. Leute, die auf den Zug warten, können also kurz ins Thema eintauchen. «Durch die verschiedenen Stationen kann man den Museumsbesuch ganz individuell gestalten. Es gibt eine Station, die beleuchtet technische Hintergründe, also die Baugeschichte des Viadukts. In einer anderen Station wird gezeigt, wie die Brücke in den Künsten dargestellt wurde. Man kann das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten», erklärt sie. Sie hebt hervor, dass sie die Hilfskonstruktion, das kunstvolle Lehrgerüst von Richard Coray, auf Plänen und Bildern wieder sichtbar machen würden. Und ein besonderes Merkmal des Museums – im Gegensatz zu anderen Ausstellungen – sei, dass das Hauptobjekt, der Langwieser Viadukt, draussen steht.

Inhalte

Nach einigen Minuten des Gesprächs vertieft sich die Kuratorin mehr und mehr in die Materie und erzählt von den erstaunlichen Erkenntnissen über die Brücke, die eben nicht nur mit Technik und Baugeschichte zu tun haben. Sie berichtet von der Bedeutung der Brücke für die Menschen und von der Internationalität, die mit dem Bau der Chur-Arosa-Linie einhergegangen sei. Von italienischen Gastarbeitern. Von der Tragweite der Brücke für den damals aufstrebenden Kurort Arosa. Von Bauingenieur Züblin und Gerüstebauer Coray, den Köpfen hinter der Konstruktion. Und von den Pferdekutschen und Postillons, mit denen vor 1914 in sechs Stunden Reisezeit von Chur nach Arosa gefahren werden konnte. «Für mich wurde schnell klar, dass es bei dieser Brücke und Bahnlinie nicht nur um Technisches geht», erzählt sie. «Die Brücke zur Welt», wie sie auch genannt würde, sei zwar ein Pionierwerk der Ingenieurbaukunst, aber auch ein wichtiger Meilenstein für die Menschen um sie herum.

Neue Themen und Teamwork

Auf die Frage, ob sie schon vorher viel über Brücken wusste, verneint sie lachend. «Ein bisschen was», schmunzelt sie. Doch mehr auch nicht. Das sei etwas, das eine gute Kuratorin ausmache. Man müsse sich in die unterschiedlichsten Themen einlesen können. «Man beginnt einfach irgendwo», erklärt sie, «mit einem Buch oder einem Artikel. Und dann findet man vielleicht etwas, wonach man dann weitersuchen möchte.» Wichtig sei dabei der Austausch mit Expertinnen und Experten. Gerade beim Thema des Brückenbaus gebe es viele Fachbegriffe, die sie sich zuerst aneignen musste. Da sei die Hilfe von Fachleuten sehr zentral gewesen. Und auch sonst sei Teamwork beim Museum gefragt – unter anderem vor allem mit der künstlerischen Leitung und den Szenografinnen.

Runterbrechen

Die Recherche ist jedoch nicht alles. Silvia Conzett wählt als Kuratorin nicht nur aus, welche Schwerpunkte eines Themas im Museum behandelt und aufgearbeitet werden, auch verfasst sie die informativen Ausstellungstexte. «Das ist eigentlich die grösste Herausforderung», betont die Kuratorin. «Alles, was man recherchiert und gelesen hat, dann so runterzubrechen, dass es auch Leute verstehen, die kein Vorwissen haben, ist nicht einfach», unterstreicht sie. Gleichzeitig sollen die Texte ja auch für die Leute funktionieren und interessant sein, die schon Wissen mitbringen. Silvia Conzett greift dafür auf viel Erfahrung zurück. In den 1980er Jahren studiert sie Volkskunde in Zürich. Später sammelt sie in Aufenthalten in den USA sowie auch in Norwegen erste Erfahrungen mit Museumsarbeit und widmet sich daran anschliessend in Graubünden diversen Forschungsprojekten der alpinen Kultur. Zu dieser Zeit macht sie in Tschiertschen im alten Schulhaus kleine Ausstellungen zu verschiedenen Themen und ab 2014 ist sie für zehn Jahre im Rätischen Museum in Chur als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin für Sonderausstellungen angestellt.

Brücke

Mittlerweile sind diese Ausstellungstexte fertig. Doch die Augen bleiben offen. «Das ist der Vorteil eines Museums. Es können nachträglich immer noch Dinge ergänzt werden. Bestimmt stolpere ich in Zukunft über einzelne neue Erkenntnisse oder Besuchende des Museums steuern noch Interessantes zur Brücke bei», sagt Conzett. Apropos Brücke. Vielleicht ist Silvia Conzett ja auch so etwas wie eine Brücke. Eine Brücke zwischen Wissen und Nichtwissen. Ersten Berührungspunkten und Fachvokabular. Zwischen Neugierde und komplizierter Literatur. Eine Brücke, die es in einem Museum definitiv braucht.

Autorenschaft
Gianna Turra
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