«Vom Sammeln und Finden»
In der Raetica-Bibliothek im Kulturhuus Schanfigg in Langwies schmücken wertvolle alte Bücher die eine Seite des Zimmers. Mehrere Fenster mit Aussicht ins Grüne die andere. Rechts davon befinden sich – wie soll es anders sein – noch mehr Bücher. Und heute zwei Augen, die konzentriert von Titel zu Titel wandern. Gion Caprez ist zu Besuch und mustert die ausgestellte Literatur. Direkt vor ihm präsentiert sich das Buch «Erlebnis Chur-Arosa-Bahn». Eine Publikation, so darf man annehmen, die der Churer gut kennt. Als ehemaliger Lokführer der RhB und allseits bekanntes wandelndes Eisenbahn-Lexikon ist ihm eigentlich alles an Literatur rund um Zug und Gleis bekannt. Nun gut, vielleicht nicht alles. Neues würde man schliesslich immer wieder finden und lernen, erzählt er später. Die Recherche ende nicht. Doch bevor wir ins Gespräch übers Material-Sammeln und die wichtigen offenen Augen kommen, beginnen wir am Anfang. Wer ist Gion Caprez? Hinter welchem Schanfigger Angebot steht er? Und was hat das Ganze mit dem Panamakanal zu tun?
Am 12. Juli eröffnet das Viadukt Museum Langwies. Ein grosses Projekt, das ein grosses Team verlangt. Gion Caprez ist ein wichtiger Teil davon. Als Konservator sammelt er seit Jahren unterschiedliche Materialien und viel Wissen rund ums Thema Chur-Arosa-Bahn und Langwieser Viadukt fürs Museum. Und das mit Kompetenz und Leidenschaft. Die Faszination für die Bahn geht beim Churer schliesslich weit zurück. 1981 beginnt Caprez seine Ausbildung zum Lokomotivführer bei der Rhätischen Bahn, woraufhin Stationierungen in Landquart, Samedan und Chur folgen. In den 1990er Jahren fährt er für sechs Jahre «nur» die Chur-Arosa-Linie. Was für Gewisse zu einseitig oder zu wenig sei, berichtet er selbst, sei für ihn alles andere als das. «Jeder Tag war anders. Und das Arosa-Bähnli ist etwas Magisches. Schon als Kind hat mich diese Bahn fasziniert», erzählt Gion Caprez. Zudem hat er verschiedene Aufsätze verfasst und bei unterschiedlichen Studien zur Bündner Eisenbahngeschichte mitgewirkt. Und, als sei das nicht schon Ausweis genug, es ist Gion Caprez, der um das Jahr 2000 ein Streckeninventar der RhB erstellt, sich um die Erhaltung historischer Bahnwagen kümmert, beim Aufbau des Bahnmuseums Albula mitwirkt und einen bedeutenden Beitrag zum Dossier für die Aufnahme der Thusis-Tirano Strecke ins Unesco-Weltkulturerbe liefert.
Seit nun sechs Jahren arbeitet Gion Caprez als eine Art Konservator für das Projekt Viadukt Museum Langwies. «Bei einer Ausstellung mitzuarbeiten, macht mir sehr viel Spass», erzählt er. Dabei sammelt er alles, was etwas über die Chur-Arosa-Linie oder den Langwieser Viadukt aussagt. Er sucht. Liest. Fragt nach. Und hält immer die Augen offen. Zum Beispiel nach einem Stück Schiene von 1914. Nach Brückenmodellen von damals und auch heute. Nach Gegenständen, die man anfassen kann. Das sei ihm wichtig, betont er. Es soll nicht nur Texte geben, sondern auch Sachen. Und dennoch, Literatur gehört zum Job dazu. So sucht er nach Forschungstexten. Oder Postkarten. Alten Reklamen. Illustrierten Büchern. Aber auch Fotografien. Und Menschen, die ihm etwas erzählen können. Was er dabei alles findet, ist erstaunlich. So werde der Langwieser Viadukt in einem Standardwerk zur Ingenieurskunst im 19. Jahrhundert im gleichen Atemzug wie der Panamakanal als Höhepunkt der Bauentwicklung dieses Jahrhunderts genannt. Die Augen von Gion Caprez funkeln. «So etwas fasziniert mich am Viadukt», sagt der Churer. Er recherchiert zuhause am Computer, in Bibliotheken sowie auch Archiven. Vieles, das in der Ausstellung gezeigt wird, stammt aus dem RhB Archiv, wo Gion Caprez als ehemaliger RhB Mitarbeiter gut und gerne recherchieren darf. Eine Goldmine für den ehemaligen Lokführer. Das ist spürbar.
Wenn man Gion Caprez nach einem «Highlight» der letzten Monate des Sammelns und Suchens fragt, dann überlegt er nicht lange und nennt gleich mal eine Wissenslücke – ganz in Manier eines wissensdurstigen Recherche-Profis. «Wenn mich was ärgert», erzählt er gelassen, «dann spornt mich das an». So zum Beispiel die Frage danach, wer denn nun eigentlich den Langwieser Viadukt erfunden habe. Man wisse viel, unterstreicht Caprez. Er nennt Namen. Ingenieur und Baufirma. Es gebe Zeichnungen und Pläne. Artikel. Fotos. Und doch könne er abschliessend nicht sagen, woher die Idee für den Langwieser Viadukt genau stamme. Und das ist jetzt das «Highlight»? Gion Caprez lächelt und sagt: «Ich halte weiterhin die Augen offen und bleibe dran. Und das macht unglaublich viel Spass.» Dabei ist er nicht allein. Fürs Viadukt Museum Langwies arbeitet er unter anderem mit der Kuratorin Silvia Conzett zusammen. Das gefalle ihm sehr, denn sie würden sich gut ergänzen. Und natürlich stehen da auch noch andere Köpfe hinter dem Projekt. Personen, die die Räume gestalten, die Texte schreiben oder sich ein Ausstellungs-Konzept überlegen. Die Zusammenarbeit des breit aufgestellten Teams sei eine grosse Stärke des Museums. «Ein Team, in dem man sich wohl fühlt, ist enorm wichtig», betont Gion Caprez. Doch nicht nur das gefällt ihm am Projekt. Das Viadukt Museum Langwies findet in Räumen sowie auch draussen statt. Diese Mischung sei zentral. «Es gibt Dinge», sagt Caprez, «die kann man nicht in einen Raum packen und ausstellen.» Die müsse man vor Ort selbst sehen. Mit dem Blick auf den echten Langwieser Viadukt schaffe das das Museum.
Doch zurück zum «Highlight». Die Wissenslücke kann nicht das einzige sein. Also wird nochmals nachgehakt. Der ehemalige Lokführer überlegt einen Moment lang. Und siehe da, ein Lächeln macht sich erkennbar. «Das Schanfigg ist das Land vom Geröll», beginnt er mit seiner Geschichte vom Betonklotz. Es folgt ein kurzer Exkurs zu Materialien, Bausteinen, Bogenbrücken. Zum Eisenbeton. Dann ein Vergleich mit der Albulabahn. Und schliesslich die Betonklötze. Strahlend erzählt er von einem Ausflug im Stil einer Nacht-Und-Nebel-Aktion. Davon, wie er gemeinsam mit Hitsch Sprecher, dem Bauleiter des Museums, einen solchen Betonklotz – der damals für das Bauen einer Bogenbrücke auf der Strecke Chur-Arosa gebraucht wurde – findet, einen Hang runter schleift, mit dem Raupenbagger hochhebt und im «Büsli» nach Langwies bringt. Die Augen von Gion Caprez leuchten. Na also. Das ist doch mal ein «Highlight».